Polen-Newsletter 26/2018
vom 28.06.2018
Mitte 21 – Verein zur Förderung der Völkerverständigung und der Demokratie e.V.
crowdmedia.pl
Als Polen wegen Fußball fieberte, wurde in der EU eine sehr wichtige Entscheidung getroffen. Unser Land läuft Gefahr, völlig ausgegrenzt zu werden
Vor genau einem Jahr hat die Europäische Kommission in einem Dokument vorgeschlagen, die Schaffung eines eigenen Haushalts für den Euroraum in Erwägung zu ziehen. Damals schien die umstrittene Idee noch lange nicht umgesetzt zu werden, aber ihre Umsetzung könnte für die Interessen Polens äußerst gefährlich sein. Brüssel will nicht, dass sich die Krise im Euroraum zwischen 2010 und 2012 wiederholt. Die Europäische Union spürt die Auswirkungen bis heute. „Wir sollten nicht auf eine weitere Krise warten. Wir müssen die Wirtschafts- und Währungsunion jetzt vertiefen und stärken“, sagte Valdis Dombrovskis, stellvertretender Leiter der Europäischen Kommission für den Euro und die Finanzstabilität, vor einem Jahr.
Gestern, als ganz Polen Fußball schaute, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron auf Schloss Meseberg in Brandenburg, dass die Länder des Euroraums ihren eigenen gemeinsamen Haushalt aufstellen werden. Der französische Präsident hat sogar ein Datum angegeben, das nicht weit entfernt ist: 2021. Nach dem Treffen betonte Merkel, dass sich ein neues Kapitel in den Reformen der Europäischen Union öffnet und erklärte, dass der Haushalt der Eurozone Investitionen dienen würde und die Unterschiede zwischen den Ländern der Gemeinschaft verringern werde. „Der Haushalt der Währungsunion soll auch die Länder der Zone vor Krisen schützen“, so die Kanzlerin.
Die gestrige Entscheidung ist für Polen sehr ungünstig. Ein eigener Haushalt des Euroraums drängt Polen an die Peripherie Europas. Als die Europäische Kommission das Dokument vor einem Jahr annahm, kommentierte es Paweł Kowal [PiS]: „(…) Mehrere oder mehr Länder des Euroraums werden sich absprechen und eine einheitliche Politik in allen Fragen verfolgen. Dann können sie diese der gesamten Union aufzwingen. Dann werden diejenigen, die sich in der Zone der zweiten Geschwindigkeit befinden, etwas akzeptieren müssen, das ihnen nicht unbedingt passt.“ Er fügte hinzu: „Politisch ist dies eine Antwort auf die Erwartungen der Gesellschaften, in denen die Unterstützung für die Union zurückgegangen ist. Wenn der Haushalt der Eurozone kommt, werden die Politiker ihren Wählern erklären, dass es Geld für Industrie und Innovation geben wird, was die Einstellung der Menschen gegenüber der EG verändern kann.“
In unserem politischen Nest läuft aber alles wie gewohnt. Auf dem Hambacher Schloss sollte heute ein Treffen der Präsidenten des Sejm und des Deutschen Bundestages statt finden. Einige Stunden vor Beginn wurde das Treffen von der polnischen Seite abgesagt. In einer Presseerklärung an Journalisten teilte die Pressestelle des Bundestages mit, dass Polen das Treffen wegen der innenpolitischen Situation abgesagt habe. Mitglieder der Opposition gehen davon aus, dass der Grund ein wichtiges Treffen am Sitz der Partei Recht und Gerechtigkeit ist. Normalerweise sollten nach der gestrigen Entscheidung die Telefone nicht still stehen. Ein solches Treffen ist doch eine Gelegenheit, mit Vertretern des Bundestages zu sprechen. Soll das eine Art Affront nach der Macron-Merkel-Konferenz sein? Das sieht nicht nach ernster Politik aus, und das Problem ist enorm.
https://crowdmedia.pl/polska-mundialowa-goraczka-ue-wazna-decyzja-margines-europy/
krytyka.polityczna.pl
Sie traten aus dem Schatten heraus, jetzt werden sie sich selbst organisieren.
Der 40-tägige Protest im Sejm war ein Teil des großen zivilisatorischen Prozesses. Und das war sicherlich nicht die letzte Runde
Während der vierzig Tage des Protestes der Menschen mit Behinderungen und ihren Eltern im Sejm haben wir einen beschleunigten Kurs für die soziale Aufmerksamkeit und Empathie mit Menschen in schwierigen Situationen durchgemacht, aber vor allem für die Anerkennung von Mitbürgern, die hart um ihre Rechte kämpfen. Obwohl die Regierung ihre Hauptforderung (500 Zloty Rehabilitationszuschlag) nicht erfüllt hat, der Auszug der Demonstranten aus dem Sejm-Gebäude und die berührende Pressekonferenz am Denkmal der Heimatarmee krönen ihren Sieg in der schwierigsten Phase, aus dem Schatten unserer kollektiven Ignoranz, Infantilisierung und des Spottes herauszukommen.
Es ist selten, dass Menschen mit Behinderungen und ihre Betreuer das Recht errungen haben, mit ihrer eigenen Stimme und persönlich in den Mainstream-Medien zu sprechen. Sie gewannen 90% der Gesellschaft für ihre Sache, die Unterstützung der Opposition, sowie Verbündete mit großer Autorität, von der Veteranin des Warschauer Aufstandes bis zur Ikone des sozialen Engagements Janina Ochojska. Vor dem Sejm verwies die Schöpferin der Polnischen Humanitären Aktion so wie auch Lech Wałęsa einige Tage zuvor auf die gleiche Notwendigkeit, eine Koalition und eine Expertenbasis zu organisieren. Sie machte ein konkretes Angebot, nicht nur zu helfen, sondern gemeinsam für die Sache zu kämpfen. Kurzum, in diesem Kampf geht es um die wirkliche Integration in die Gesellschaft.
Pater Wojciech Lemański wies zu Recht auf die drastische Diskrepanz zwischen dem Wertesystem der Mehrheitsgesellschaft und der Haltung der Kirche in dieser Frage hin. Frau Wanda Traczyk-Stawska, Psychologin und Soldatin der Heimatarmee, sprach über das moralische Recht, aber auch über das Heldentum der Demonstranten. Die Worte der polnischen Paralympics-Sportlerin, Karolina Hamer, hatten jedoch die stärkste politische Dimension. Sie sprach über „Polen für alle“, „offen, modern und tolerant“, aber auch über eine „solidarische Aufruhr“, die es ermöglicht, dieses Land neu und eigenständig aufzubauen.
Das Verlassen des Sejms und die „Suspendierung“ des Protestes werfen Fragen nach seiner heutigen Form auf. Die Eltern von Menschen mit Behinderungen, die nicht so sehr auf Komfort, sondern auf die Befriedigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse, einschließlich Toilette und frischer Luft, angewiesen sind, haben rational gehandelt. In einer Situation, in der die Behörden planen, ihre Freiheit bis an die Grenzen der Gesundheitsgefährdung einzuschränken, ist es obszön, auf eine „Instrumentalisierung“ der Behinderten durch die Pflegekräfte hinzuweisen.
Fragen zur Strategie sind immer aktuell, sie sind integraler Bestandteil aller sozialen Bewegungen. Die Geschichte lehrt uns jedoch, dass die Erschöpfung einer Form des Protestes die Gärung nicht beenden muss.
Wenn Zygmunt Bauman Recht hatte, dass die Qualität einer Gesellschaft wie die Tragfähigkeit einer Brücke bewertet wird, d.h. nach der Stärke des schwächsten Abschnitts (hier, nach der Art und Weise, Menschen in der schwierigsten Situation zu behandeln), war der 40-tägige Protest im Sejm ein Teil des großen zivilisatorischen Prozesses. Und das war sicherlich nicht die letzte Runde.
http://krytykapolityczna.pl/kraj/wyszli-z-cienia-beda-sie-organizowac/
wiadomo.co.pl
Michał Laskowski: Nach den Veränderungen will ich nicht das Gesicht des Obersten Gerichts sein
„Die Termine werden so gewählt, dass wichtige Gesetze gerade während der Feiertage, am verlängerten Wochenende oder während wichtiger Sportereignisse beschlossen oder in Kraft treten“, sagte der bisherige Sprecher des polnischen Obersten Gerichts, Michał Laskowski. „Dennoch wird das, was bald passieren wird, Konsequenzen über Jahre hinweg haben. Die Weltmeisterschaften sind bald vergessen, aber die Veränderungen im Obersten Gericht, wie auch in der gesamten Gerichtsbarkeit werden über Jahre zu spüren sein. Daher will ich nicht mehr das Gesicht dieses Gerichts sein“, kommentierte Laskowski seinen angekündigten Rücktritt.
Zu der Entscheidung der bisherigen Präsidentin Małgorzata Gersdorf, ihren Posten nicht räumen zu wollen [weil dies wie das ganze „Oberste‑Gericht‑Gesetz“ verfassungswidrig wäre; Anm. d. Red.], meinte er, dass nicht ausgeschlossen sei, dass der Staat sie mit Gewaltanwendung dazu zwingen wird. „Das Hinausführen der Vorsitzenden mit dem Argument, dies sein der Vollzug einer Gerichtsreform, wäre für mich eine totale Blamage und ein ernsthafter Schlag gegen das Ansehen Polens als einen verantwortungsvollen Staates, mit welchem man kooperieren kann.“
https://wiadomo.co/michal-laskowski-po-zmianach-nie-chce-byc-twarza-nowego-sadu-najwyzszego/
onet.pl
US-Kongress beschäftigt sich mit Polen. Das IPN-Gesetz als Hauptproblem
Im amerikanischen Kongress wird weiter wegen Vereinbarungen zu Polen gesprochen. Das eine ist der Brief einer Gruppe der Abgeordneten an den polnischen Regierungschef Morawiecki, indem die Amerikaner ihre Sorge u.a. über das IPN-Gesetz äußern. Der Brief beginnt mit den Worten: „Wir sind tief besorgt über die Tatsache, dass die letzten Veränderungen im polnischen Recht ein Schritt zurück sein könnten für die bisherige polnische Führungsposition im Durchführen der demokratischen Reformen und im Schutz der persönlichen Freiheit .“ Die Abgeordneten schreiben darin, dass Polen ein „wertvoller Verbündeter“ sei, dennoch „könnten die letzten Veränderungen im polnischen Recht ein Schritt rückwärts sein.“ Der polnische Außenminister Czaputowicz hat dazu im Namen von Morawiecki geantwortet.
Der zweite Punkt betrifft eine Novelle des Fiskalbeschlusses für das kommende Jahr. Darin wird nun die amerikanisch-polnische Militärkooperation von der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit in Polen abhängig gemacht. Allerdings wurde die Novelle nicht angenommen.
koduj.24.pl
Warschauer Gymnasiasten bedeckten mit Folie einen Wagen mit Anti-Abtreibungsplakaten
„Heute parkte vor unserer Schule ein mit drastischen, blutigen und skandalösen Fotos beklebter Wagen. Das ist illegal! Wir können nicht untätig bleiben angesichts dieser Form des Angriffs auf unsere Schüler und ihre Moral! Deshalb hat sich eine Gruppe von Personen aus unserer Schule entschlossen, das Auto zu verpacken und die Grafik zu verdecken. Diese Form der Propaganda kann uns nicht gleichgültig sein!”, schrieben die Schüler des Witkacy-Gymnasiums aus Warschau auf ihrem Facebook-Profil.
Sie versiegelten die Anti-Abtreibungsplakate mit goldener und silberner Aluminiumfolie. „Wir glauben, dass Jugendliche und jüngere Kinder (es gibt einen Kindergarten direkt neben dem Gymnasium) nicht gezwungen werden sollten, solche drastischen Bilder zu sehen“, sagte Michał Łukaszuk, einer der Gymnasiasten, in einem Interview. Nach der Ansicht der Schüler ist eine Platzierung von Fotos auf Autos keine geeignete Form der Diskussion über Abtreibung.
Gestern parkte derselber Lastwagen vor einem anderen Warschauer Gymnasium, dem Kopernikus Gymnasium. Auch dort haben Schülerinnen und Schüler die drastischen Bilder abgedeckt.
https://koduj24.pl/licealisci-z-warszawy-zaslonili-folia-furgonetke-z-antyaborcyjnymi-billboardami/
newsweek.pl
Junge Polen wenden sich von der Kirche ab
Betest du jeden Tag? Gehst du jeden Sonntag zur Kirche / zum Tempel? Dies sind einige der Fragen, die den Bürgern von 108 Ländern weltweit gestellt wurden. Die Ergebnisse sind eindeutig: Junge Menschen sind weniger religiös als ihre Eltern. Ein globaler Trend. Es ist jedoch erstaunlich, dass das größte Missverhältnis zwischen der Religiosität der Vertreter der jüngeren und älteren Generation in Polen auftritt.
Polen erwies sich als weltweit führend im Rückgang der Religiosität von Generation zu Generation in zwei „Kategorien“. Die erste Determinante der Religiosität war die Frage zur Teilnahme an Messen mindestens einmal pro Woche. Die wöchentliche Teilnahme wurde von 55% der polnischen Frauen und Männern über 40 angegeben. Bei den Jugendlichen waren es nur 26%. Der Unterschied zwischen den Generationen betrug somit bis zu 29 Prozentpunkte. Dies ist der größte Rückgang der Religiosität von Generation zu Generation in der Welt.
Eine weitere Determinante der Religiosität war die Frage, ob Religion im Leben der Befragten „sehr wichtig“ ist. 40% der älteren Menschen und 16% der jüngeren Polen beantworteten die Frage mit „Ja“. In diesem Fall betrug die Differenz zwischen den Generationen 23 Prozentpunkte. Die nächste Frage, die in der Studie gestellt wurde, war das tägliche Gebet. 39% der erwachsenen Polen gaben an, dass sie jeden Tag beten. Junge Menschen tun es viel seltener. 14% der Befragten antworteten positiv. Dies entspricht einem Generationsunterschied von 25 Prozentpunkten. Nur Japan verzeichnete einen stärkeren Rückgang.
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass sich die Religiosität junger Polen nicht vom europäischen Durchschnitt unterscheidet. Sie ist auf dem Niveau der Niederlande und Norwegens. Dies ist nicht der Fall bei älteren Landsleuten, die viel religiöser sind als der durchschnittliche Europäer. Damit liegt Polen in der Gesamtwertung der Religionen auf Platz 4 in Europa. Nur Rumänien, Kroatien und Portugal sind religiöser. Aus den Ergebnissen der Umfrage lässt sich auch schließen, dass die Religiosität junger Polen in gewisser Weise „zur Schau“ steht. Wir sind ein Land in Europa, in dem deutlich mehr junge Menschen in die Kirche gehen, als die, welche jeden Tag beten.
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