Polen-Pressespiegel 06/2020 vom 06.02.2020
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wyborcza.pl

Marian Turski: Auschwitz begann schon mit kleinen Ausprägungen der Verfolgung. Junge Menschen, seid nicht gleichgültig!

Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen. Es begann mit kleinen Ausprägungen der Judenverfolgung. Es ist passiert, das bedeutet, dass es überall passieren kann. Deshalb müssen die Menschenrechte verteidigt werden, sagte Marian Turski, ein ehemaliger Häftling des Lagers anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz.
Die wichtigsten Gäste des 75. Jahrestages der Befreiung des ehemaligen deutschen Lagers der Nazis in Auschwitz-Birkenau waren Gefangene. Sie sprachen über die Hölle, die sie durchgemacht hatten, und warnten, dass es wieder passieren könne.

Sei nicht gleichgültig!
Die Rede des Historikers Marian Turski, der den Todesmarsch aus Auschwitz überlebte. Heute ist er Redakteur der Zeitschrift Polityka.

[…] Das elfte Gebot ist wichtig: Sei nicht gleichgültig! Sei nicht gleichgültig, wenn du historische Lügen siehst, sei nicht gleichgültig, wenn eine Minderheit diskriminiert wird, sei nicht gleichgültig, wenn die Regierenden ein Grundgesetz verletzen. Folgendes möchte ich zuallererst meiner Tochter, meiner Enkelin und ihren Altersgenossen, der jungen Generation, sagen, so Marian Turski.
Und er erinnerte an die Worte einer seiner Lagerfreunde: Elftes Gebot – Sei nicht gleichgültig!

Ein ehemaliger Gefangener warnt und appelliert
Es folgt die ganze Rede von Marian Turski.

Geehrte Anwesende, liebe Freunde, ich bin einer von denen, die noch leben und einer von wenigen, die fast bis zum letzten Moment vor der Befreiung an diesem Ort waren. Am 18. Januar begann meine sogenannte Evakuierung aus dem Lager Auschwitz, die sich nach sechseinhalb Tagen für mehr als die Hälfte meiner Mithäftlinge als Todesmarsch herausstellte. Wir waren zusammen in einer 600-köpfigen Kolonne. Höchstwahrscheinlich werde ich das nächste Jubiläum nicht erleben. So ist das Menschenschicksal.

Verzeihen Sie mir deshalb, dass das, was ich sagen werde, ein wenig emotional sein wird. Folgendes möchte ich zuallererst meiner Tochter und meiner Enkelin, sagen, der ich dankbar bin, dass sie hier in der Halle ist, und meinem Enkel. Ich meine damit auch die Altersgenossen meiner Tochter, meiner Enkelkinder und damit eine neue Generation, insbesondere die jüngsten, aller-jüngsten, noch jünger als sie.

Als der Weltkrieg ausbrach, war ich ein Teenager. Mein Vater war Soldat und wurde schwer an der Lunge verwundet. Es war ein Drama für unsere Familie. Meine Mutter kam aus dem polnisch-litauisch-belarussischen Grenzgebiet. Es wurde von Armeen niedergewalzt, geplündert, ausgebeutet und vergewaltigt. Dörfer wurden niedergebrannt, um nichts denjenigen zu überlassen, die nach ihnen kommen würden. Man kann also sagen, dass ich aus erster Hand von meinem Vater und meiner Mutter wusste, was Krieg ist. Aber trotz allem, obwohl es nur 20 oder 25 Jahre waren, schien es so fern wie die polnischen Aufstände des 19. Jahrhunderts, wie die Französische Revolution.

Wenn ich heute junge Leute treffe, stelle ich fest, dass sie nach 75 Jahren ein wenig müde zu sein scheinen wegen dieses Themas: sowohl wegen des Krieges als auch wegen des Holocausts und der Shoah und des Völkermords. Ich verstehe sie. Deshalb verspreche ich Euch, junge Leute, dass ich Euch nichts über mein Leiden erzählen werde. Ich werde Euch nicht über meine Erlebnisse erzählen, über meine zwei Todesmärsche, wie ich den Krieg mit einem Gewicht von 32 Kilo beendet habe, kurz vor der Erschöpfung und am Rande des Lebens. Ich werde nicht über etwas sprechen, was das Schlimmste war, das heißt, die Tragödie, von geliebten Menschen getrennt zu werden, wenn man nach der Selektion ahnt, was sie erwartet. Nein, ich werde nicht darüber sprechen. Ich möchte mit der Generation meiner Tochter und der Generation meiner Enkel über Euch selbst sprechen.

Ich kann sehen, dass der österreichische Präsident Alexander Van der Bellen unter uns ist. Sie erinnern sich, Herr Präsident, als Sie mich und die Leitung des Internationalen Auschwitz-Komitees zu Gast hatten, als wir über damalige Zeiten gesprochen haben. Irgendwann haben Sie den Satz verwendet: „Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen“. Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen. Man kann sagen, wie wir es sagen: „offensichtliche Offensichtlichkeit“. Natürlich ist es nicht vom Himmel gefallen. Dies mag wie eine banale Aussage erscheinen, aber es ist eine tiefe und sehr wichtige mentale Abkürzung, um es zu verstehen. Lassen Sie uns unsere Gedanken und Vorstellungen für einen Moment in die frühen 1930er Jahren nach Berlin bringen. Wir befinden uns fast im Stadtzentrum. Der Stadtteil heißt Bayerisches Viertel. Drei Stationen von Ku’damm, dem Zoo. Dort wo sich heute die U-Bahnstation befindet, ist der Bayerische Park. Und hier erschien eines Tages in den frühen 1930er Jahren eine Inschrift auf den Bänken: „Juden dürfen nicht auf diesen Bänken sitzen.“ Man kann sagen: Unangenehm, nicht fair, es ist nicht in Ordnung, aber am Ende gibt es so viele Bänke, man kann auch woanders sitzen, es gibt kein Unglück.
Es war ein Stadtteil, in dem die deutsche Intelligenz jüdischen Ursprungs lebte, Albert Einstein, Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, Industrieller, Politiker und Außenminister Walter Rathenau. Dann erschien im Schwimmbad die Aufschrift: „Juden dürfen dieses Schwimmbad nicht betreten“. Man kann noch einmal sagen: Es ist nicht angenehm, aber Berlin hat so viele Orte zum Schwimmen, so viele Seen, Kanäle, fast Venedig, so dass man woanders hingehen kann.
Gleichzeitig erscheint irgendwo eine Inschrift: „Juden dürfen nicht deutschen Gesangsverbänden angehören.“ Na und? Wenn Sie singen, musizieren wollen, sollen sie sich getrennt versammeln und singen. Dann kommen die Inschrift und der Befehl: „Jüdische, nicht-arische Kinder dürfen nicht mit deutschen, arischen Kindern spielen.“ Sie sollen alleine spielen. Und dann erscheint die Inschrift: „Wir verkaufen Brot und Essen an Juden erst nach 17 Uhr.“ Dies ist ein Hindernis, da es eine kleinere Auswahl gibt, aber am Ende nach 17 Uhr können sie auch einkaufen.
Achtung, Achtung, wir beginnen uns an die Idee zu gewöhnen, dass man jemanden ausschließen kann, dass man jemanden stigmatisieren kann, dass man jemanden entfremden kann. Und so langsam, allmählich, gewöhnen sich die Menschen Tag für Tag daran. Und die Opfer, die Folterer und die Zeugen, die wir als Umstehende bezeichnen, beginnen sich an den Gedanken und die Vorstellung zu gewöhnen, dass diese Minderheit, die Einstein, Nelly Sachs, Heinrich Heine und Mendelssohns hervorgebracht hat, anders ist, dass sie aus der Gesellschaft verdrängt werden können, dass sie Fremde sind, dass sie Menschen sind, die Keime, Epidemien verbreiten. Das ist schon schrecklich, gefährlich. Dies ist der Beginn dessen, was als Nächstes passieren kann.

Einerseits führen die damaligen Behörden eine schlaue Politik, weil sie beispielsweise die Anforderungen der Arbeitnehmer erfüllen. Am 1. Mai wurde nie gefeiert in Deutschland. Sie sagen: bitte sehr. Sie führen an einem arbeitsfreien Tag Kraft durch Freude ein, also Arbeiterferien. Sie können die Arbeitslosigkeit überwinden, sie können mit der nationalen Würde spielen: „Deutschland, erhebe dich aus der Schande von Versailles. Gewinne deinen Stolz zurück.“ Gleichzeitig sieht diese Regierung, dass die Menschen langsam von Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit überwältigt werden. Sie hören auf, auf das Böse zu reagieren. Und dann kann sich diese Regierung leisten, den Gang des Bösen weiter zu beschleunigen.

Und dann passiert es brachial, das heißt: Verbot der Zulassung von Juden zur Arbeit, Verbot der Auswanderung. Und dann werden sie schnell in die Ghettos geschickt: nach Riga, nach Kaunas, in mein Ghetto, das Łódźer Ghetto – Litzmannstadt. Von dort werden die meisten nach Kulmhof, Chełmno nad Nerem, geschickt, wo sie in Lastwagen mit Abgasen ermordet werden, und der Rest nach Auschwitz, wo sie in modernen Gaskammern mit Zyklon B ermordet werden. Und so funktioniert das, was Herr Präsident sagte: „Auschwitz ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen.“ Auschwitz trippelte mit kleinen Schritten und näherte sich, bis das passierte, was hier passierte.

Meine Tochter, meine Enkelin, die Altersgenossen meiner Tochter, die Altersgenossen meiner Enkelin – vielleicht kennt Ihr den Namen Primo Levi nicht. Primo Levi war einer der berühmtesten Gefangenen dieses Lagers. Primo Levi hat einmal den Satz verwendet: „Es ist passiert, das bedeutet, dass es passieren kann. Das heißt, es kann überall auf der Welt passieren.“

Ich möchte Ihnen eine persönliche Erinnerung mitteilen: 1965 war ich Stipendiat in den USA, in Amerika, und dann gab es den Gipfel des Kampfes um Menschenrechte, Bürgerrechte und Rechte für die afroamerikanische Bevölkerung. Ich hatte die Ehre, mit Martin Luther King von Selma nach Montgomery zu marschieren. Und dann fragten mich die Leute, die herausfanden, dass ich in Auschwitz war: „Was denkst du, vielleicht könnte so etwas nur in Deutschland sein? Könnte es auch woanders sein?“ Und ich sagte ihnen: „Es könnte auch bei Euch sein. Wenn Bürgerrechte verletzt werden, wenn Rechte der Minderheiten nicht anerkannt werden, wenn sie abgeschafft werden. Wenn das Gesetz verletzt wird, wie es in Selma getan wurde, kann es passieren.“ Was ist zu tun? Sie allein, sagte ich ihnen. Wenn Sie die Verfassung, Ihre Rechte, Ihre demokratische Ordnung und die Rechte von Minderheiten verteidigen, können Sie es überwinden.

Wir in Europa stammen größtenteils aus der jüdisch-christlichen Tradition. Sowohl Gläubige als auch Ungläubige akzeptieren die Zehn Gebote als ihren Zivilisationskanon. Mein Freund, der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Roman Kent, der vor fünf Jahren während des letzten Jubiläums hier sprach, konnte heute nicht hierher kommen. Er erfand das 11. Gebot, das aus der Erfahrung der Shoah, des Holocaust, des schrecklichen Zeitalters der Verachtung entstanden ist. Es klingt so: Sei nicht gleichgültig!
Und das möchte ich meiner Tochter sagen, ich möchte es meinen Enkeln sagen. Den Altersgenossen meiner Tochter, meiner Enkelkinder, wo immer sie leben: in Polen, Israel, Amerika, Westeuropa, Osteuropa.
Es ist sehr wichtig. Seien Sie nicht gleichgültig, wenn Sie historische Lügen sehen. Seien Sie nicht gleichgültig, wenn Sie sehen, dass die Vergangenheit den aktuellen politischen Erfordernissen angepasst wird. Seien Sie nicht gleichgültig, wenn eine Minderheit diskriminiert wird. Das Wesen der Demokratie ist die Regel, dass die Mehrheit regiert. Aber Demokratie bedeutet, dass die Rechte von Minderheiten geschützt werden müssen. Seien Sie nicht gleichgültig, wenn eine Behörde gegen bereits bestehende soziale Vereinbarungen verstößt. Sei dem Gebot treu. Dem elften Gebot: Sei nicht gleichgültig!
Denn wenn Ihr es nicht seid, werdet Ihr Euch nicht einmal mehr umsehen, und Auschwitz fällt plötzlich für Eure Nachkommen vom Himmel.

Zsfg.: JP

https://krakow.wyborcza.pl/krakow/7,44425,25639751,marian-turski-auschwitz-tez-zaczelo-sie-od-drobnych-form-przesladowania.html?utm_source=facebook.com&utm_medium=SM&utm_campaign=FB_Gazeta_Wyborcza&fbclid=IwAR1POI9wekbY3VWovB25pceE3UGraxE2gj5tpyl0b21OIZyyheozXAR3e1U

polityka.pl

Woiwodschaft Lodz wird Anti-LGBT-Zone. Dies ist der Beginn eines gefährlichen Trends.

Die Ratsmitglieder der Woiwodschaft Lodz verabschiedeten auf der Grundlage eines Dokuments von Ordo Iuris eine Charta der Rechte von Familien. Dies ist die erste Woiwodschaft mit einem solchen Beschluss. Nach Berechnungen nehmen Anti-LGBT-Zonen bereits ein Drittel Polens ein.
Das Ordo-Iuris-Institut ist eine fundamentalistische Organisation, die bekannt dafür ist, ein vollständiges Abtreibungsverbot in Polen einführen zu wollen. Es ist gerne dabei, wenn man über die „LGBT-Ideologie“ spricht. Es befürwortet den Kampf gegen nicht heteronormative Personen unter dem Vorwand, „traditionelle Familien“ zu schützen.

Vor einigen Monaten schlug Ordo Iuris den Kommunalverwaltungen die Annahme eines Dokuments vor, das eine Antwort auf die Warschauer LGBT+ -Deklaration sein soll. Und in der Praxis gegen Antidiskriminierungs-Maßnahmen gerichtet ist. Insgesamt 24 Gemeinden haben das Dokument angenommen und kürzlich als erste die Woiwodschaft Łódź.

Ordo Iuris rät, wie man effektiv ausschließt
Die Rede ist von der Charta der Familienrechte für die Gemeinde, den Landkreis und die Woiwodschaft. Konzentrieren wir uns auf den dritten Punkt, denn darauf stützten sich die Ratsmitglieder der Woiwodschaft Łódź bei ihrem Beschluss. In der Einleitung erfahren wir, dass die Charta Familien schützen soll, die auf der Ehe zwischen einer Frau und einem Mann beruhen, das Recht der Eltern, ihre Kinder „nach ihrem Glauben“ zu erziehen und Kinder vor Demoralisierung zu schützen.

Was ist diese angebliche Demoralisierung? Ordo Iuris macht keinen Hehl daraus, dass es sich unter anderem mit Initiativen wie Tęczowy Piątek [Regenbogen-Freitag], Antidiskriminierungskursen und den Aktivitäten der sozialen Organisationen, die LGBT+ unterstützen befassen möchte. Es schlägt vor, dass die Woiwodschaften diese Projekte nicht unterstützen sollten, wenn sie „die verfassungsmäßige Identität der Ehe als Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann untergraben“. Alle Verletzungen der Familienrechte sind von einem Bürgerbeauftragten zu überwachen.

Aktivisten der LGBT-Community glauben, dass das Projekt noch schlimmer ist als die Resolutionen der Kommunen gegen die „LGBT-Ideologie“. „Da es sich um eine Sammlung bürokratischer Schikanen handelt“, betont Kuba Gawron, Mitorganisator des Gleichstellungsmarsches in Rzeszów, der ähnliche Initiativen fortlaufend verfolgt. „In der Praxis kann es vorkommen, dass die LGBT-Personen einen Raum in einem Gemeindezentrum nicht mieten oder ein Treffen in einer Bibliothek nicht organisieren können, da dies als Verletzung der Familienrechte und Demoralisierung angesehen wird“, betont Gawron.

Die Familien-Charta von Lodz
Die Ratsmitglieder der Woiwodschaft Lodz kopierten das Projekt Ordo Iuris nicht vollständig, sondern haben gemäß ihren Annahmen eine eigene Charta der Familienrechte erstellt, in der die gleichen gefährlichen Parolen auf etwas mildere Weise verkündet werden. So antworteten sie auf die Empfehlungen von Ordo Iuris und trugen zu ihrer Beförderung bei.

In ihrer Charta erklärte die Woiwodschaft Lodz unter anderem, dass die Gemeinden bei der Erstellung von Präventionsprogrammen zur Verhinderung von Gewalt oder Sucht in Familien „Grundsätze des Respekts der Integrität der Familie“ berücksichtigen sollen. In der Praxis kann dies Organisationen betreffen, die beispielsweise bei der Scheidung helfen, wenn eine der Personen gewalttätig ist. Die Versammlung kündigt die Förderung von Unternehmungen, Aktivitäten und Projekten an, „unter stärkerer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Familie“. Vielleicht können soziale Organisationen dann nicht auf Unterstützung zählen, wenn die lokale Regierung etwas „Falsches“ sieht. Die Charta macht deutlich, dass es um den Schutz der Werte von Familien, Ehe und Elternschaft geht.

Die Familien-Charta spricht auch über „die Freiheit der Eltern, ihre Kinder nach ihren Überzeugungen zu erziehen“. Ein Argument, das häufig in Bezug auf Sexualerziehung, Ethikunterricht oder Erziehung zum Familienleben vorkommt. Das heißt, nach WHO-Standards zu Lehren, die Lichtjahre von den Lehren der katholischen Kirche entfernt sind.

31 Prozent des Landes in „LGBT-freien Zonen“
Nach Einschätzung von Monitoring-Anti-LGBT-Zonen lebt bereits 31 Prozent der polnischen Gesellschaft in so genannten LGBT-freien Zonen, d. h. innerhalb von Gemeinden, die Maßnahmen gegen sexuelle Minderheiten unter dem Vorwand des Schutzes von Familien ergriffen haben  (polnische Bevölkerung – 38,5 Millionen; Bevölkerung in Anti-LGBT-Zonen: 10,9 Millionen; Prozentsatz der Bevölkerung in Anti-LGBT-Zonen: 28,4%).
Dies bedeutet, dass in vielen Teilen des Landes Bürger aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ausgeschlossen sind. Und das ist immer noch ein besonders gefährdeter Teil der Gesellschaft. Nach den neuesten Untersuchungen der Kampagne gegen Homophobie, der Trans-Fuzja-Stiftung und von Lambda Warschau haben fast 70 Prozent der LGBT-Teenager Selbstmordgedanken und die Hälfte hat Symptome einer Depression. Zum Vergleich: Der Anteil der Menschen in der gesamten Bevölkerung, die unter Depressionen leiden, liegt bei 5 Prozent.

Ein Appell gegen Resolutionen, die sich gegen LGBT+ richten
Die von Aktion Demokratie gestartete Unterschriftenaktion steht im Netz unter dem Aufruf „Stopp die Gesetze gegen LGBT+“. Am Dienstagabend unterzeichneten fast 5 000 Personen den Brief an Kommunalpolitiker. „Die von einigen Kommunalverwaltungen angenommenen Beschlüsse fügen sich in den immer größer werdenden Kreis des homophoben Diskurses, der darauf abzielt, Lügen zu verbreiten und der LGBT+ Gemeinschaft Angst zu bereiten, und an dem die Vertreter von Behörden, Kommunalverwaltungen und öffentlichen Medien teilnehmen“, lesen wir.
Die Verfasser des Aufrufs weisen darauf hin, dass die Beschlüsse echte Bedrohungen für Bürgerinnen, einschließlich Schulkinder, schaffen können. „Ich gehe davon aus, dass die angenommenen Beschlüsse, die verfassungswidrig sind und nicht konform mit einer Reihe von internationalen Abkommen, die von der polnischen Regierung unterzeichnet wurden, aufgehoben werden“, wird betont.
Über 60 Kommunalverwaltungen müssten darüber entscheiden, denn so viele sprachen sich bisher gegen nicht heteronormative Menschen aus.

Die nächste Anti-LGBT-Woiwodschaft ist möglicherweise Masowien, wo bereits mehrere Kreise und Gemeinden solche Beschlüsse verabschiedet haben. Die Verteilung der Sitze im Regionalrat ist dort wie folgt: PiS – 24, KO – 18, PSL – 8, fraktionslose Mitglieder – 1. In diesem Fall würden dann 44% der Einwohner Polens in Anti-LGBT-Zonen leben.

Zsfg.: JP

https://www.polityka.pl/tygodnikpolityka/spoleczenstwo/1940282,1,lodzkie-strefa-anty-lgbt-to-poczatek-groznego-trendu.read?fbclid=IwAR2sed0DjJW8NJi2CxjM-xWawqz7lUue053Zcl_MkEQEKDQaEIywa81ZLxM

gazetaprawna.pl
Jourová wird nicht nachgeben. Drei Szenarien für den weiteren Streit Polens mit der EG über die Gerichte.

Die Aktivitäten in Brüssel in den kommenden Monaten werden von Ereignissen in Warschau abhängen.
Der stellvertretende Leiter der Europäischen Kommission, Věra Jourová, prüfte gestern in Warschau die Möglichkeit, wie man den Rechtsstreit zwischen Polen und der Europäischen Kommission beenden kann.
In Brüssel geht es vor allem darum, das Schweigen zu brechen, das seit dem Personalaustausch bei der Kommission auf der polnischen Seite eingetreten ist. Dialog bedeutet jedoch keine Änderung der Position der Union, beispielsweise zur Frage des Verfassungsgerichts. Wie eine der Personen, die sich gestern mit der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission getroffen hat, mitteilte, wird sie die Rechtsstaatlichkeit nicht aufgeben. Jourová selbst betonte, dass sie in erster Linie über die Verleumdungskampagne gegen polnische Richter besorgt sei. In einem Interview mit Tomasz Grodzki, dem Präsidenten des Senats, sollte sie Polen vor dem Verlust von Eurofonds im Zusammenhang mit der geplanten Verknüpfung von Haushaltszahlungen und Rechtsstaatlichkeit warnen.
Die Kommissarin kündigte außerdem einen neuen Mechanismus zur Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten an. Die Kommission soll ihn im Frühjahr präsentieren. Dies zeigt, dass die Kommission neben dem Kampf vor dem Luxemburger Tribunal nach Möglichkeiten sucht, andere Fronten zu eröffnen.
Jourová will jedoch nicht mit harten Bandagen spielen. Die Art der Konfrontation ihres Vorgängers Frans Timmermans ist ihr fremd. Die Tschechin will reden und konzentriert sich auf die Diplomatie, vermeidet verbale Scharmützel. Gestern traf sie sich mit Vertretern des Regierungslagers, der Opposition, des Obersten Gerichts, des Verfassungsgerichts und des Bürgerrechtsbeauftragten. Das Regierungslager rief zu einem Gespräch mit der Präsidentin des Verfassungsgerichts, Julia Przyłębska auf. Jourová traf sich jedoch nicht mit dem neuen nationalen Richterrat oder mit den Richtern des Disziplinarausschusses des Obersten Gerichts, was die Regierung enttäuschte. Wie jedoch das Außenministerium, Paweł Jabłoński, betonte, das gestern mit der tschechischen Kommissarin gesprochen hatte, war es der erste Besuch. Ein echter, nicht vorgetäuschter Dialog ist noch möglich.
Das Andrehen der Schraube durch die PiS kann ein neues Verfahren gegen Verstöße gegen EU-Recht bedeuten. Aber auch ein Waffenstillstand ist eine Option.
Eines der möglichen Szenarien für ein weiteres Vorgehen der Europäischen Kommission wird die Anrufung des Gerichtshofs in Luxemburg sein, der derzeit eine Beschwerde über das Disziplinar-System der Richter prüft. Möglicherweise wird Brüssel bis zur ersten Entscheidung von weiteren Maßnahmen Abstand nehmen. Die erste Entscheidung des EuGHs betrifft die Anwendung oder Nichtanwendung von einstweiligen Maßnahmen, die letzte Woche von der Kommission zusätzlich beantragt wurden. Die Entscheidung in diesem Fall kann schon in einem Monat getroffen werden.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kommission eine „Pause von der Rechtsstaatlichkeit“ einlegen wird. Brüssel überwacht ständig die polnische Umsetzung des EuGH-Urteils vom November. Eine kürzliche Entscheidung des Obersten Gerichts und der Antrag auf Prüfung deren Übereinstimmung mit der Verfassung, der von der Regierung an das Verfassungsgericht gerichtet wurde, erschwerten den Fall jedoch erheblich. In diesem Fall fehlen der Kommission möglicherweise die Instrumente zur Beeinflussung der Situation in Warschau, da sie die Bestimmungen des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts ungeachtet etwaiger Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gerichts nicht in Frage stellen kann. Brüssel prüft nur die Einhaltung des EU-Rechts und der Verfassung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze. Es wird für den Präsidenten von entscheidender Bedeutung sein, das neue Gesetz zu unterzeichnen, das zusätzliche Maßnahmen für Disziplinarrichter vorsieht.
Die Kommission verfolgt diesen Rechtsakt aufmerksam, hat jedoch noch nicht geprüft, ob seine Bestimmungen mit den Verträgen vereinbar sind. Es ist nicht auszuschließen, dass die Antwort der Kommission auf die neuen Bestimmungen ein weiterer Antrag an den EuGH sein wird. Auch hier mit Rechtfertigung für einen Verstoß gegen die EU-Rechtsstaatlichkeit und eine Bedrohung der Unabhängigkeit der Richter.
Nur, dass der Start eines anderen so genannten Anti-Verstoß-Verfahrens viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Im Fall vor dem EuGH sind vom Beginn des Verfahrens bis zur Übermittlung der Beschwerde an Luxemburg sechs Monate vergangen. Die Kommission müsste schriftlich Vorbehalte einlegen und Polen eine formelle Begründung für die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens übermitteln. Wenn die Erklärungen der Regierung die Kommission nicht zufriedenstellen würden, kann sie eine sogenannte mit Gründen versehene Stellungnahme abgeben, auf die der Mitgliedstaat erneut verweisen kann. Nur wenn diese Erklärungen nicht mit Einsicht akzeptiert werden, kann eine Beschwerde der Kommission beim EuGH eingehen. In der Praxis – frühestens kurz vor den Sommerferien.
„Wenn der EuGH es nicht schafft, die Beschwerde bezüglich der Disziplinarkammer zu diesem Zeitpunkt zu bearbeiten, kann die Kommission beantragen, dass beide Fälle verbunden werden“, stellt unser Gesprächspartner von der Regierung fest. Er behält sich vor, dass dies ein seltsamer Weg wäre, da beide Vorschläge einen leicht unterschiedlichen Geltungsbereich hätten. Wenn die Kommission jedoch beim EuGH eine Beschwerde wegen des Maulkorbgesetzes einreichte, könnte sie sofort einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellen, mit der das Inkrafttreten blockiert würde.
Die dritte Möglichkeit besteht darin, dass in Artikel 7 vorgesehene Verfahren gegen Polen im EU-Rat (bestehend aus Ministern der Mitgliedstaaten) über die Gefahr eines schweren Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit wieder aufzunehmen. Die polnische Regierung ist der Ansicht, dass sie von einer ausreichenden Anzahl von Ländern unterstützt wird, um nicht die Stimme zu verlieren. Brüssel benötigt für die Behauptung einer ernsthaften Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit eine qualifizierte Mehrheit, um Sanktionen gegen Polen zu verhängen – die Einstimmigkeit aller weiteren EU-Länder.
Die Kommission kann die Neubelebung dieses Verfahrens nutzen, um die Arbeiten am Entwurf einer Rechtsstaatlichkeitsverordnung zu verstärken. Es soll mit der neuen EU-Haushaltsperspektive in Kraft treten. Die Verordnung soll Mechanismen zur Sperrung von EU-Überweisungen in Länder enthalten, die nicht der Rechtsstaatlichkeit entsprechen. Die polnische Regierung fordert, dass der Mechanismus gleiche Regeln für alle EU-Länder enthält.
Gestern berichtete Věra Jourová dem Senatsmarschall Tomasz Grodzki über die Idee, eine Expertengruppe (eine aus jedem EU-Land) einzurichten, um die Rechtsstaatlichkeit in allen Ländern zu prüfen. Mögliche finanziellen Kosten wären für Warschau ein Argument, um die Änderungen zu verlangsamen.
Eine weitere Aufgabe wird die jährliche Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Ländern sein, deren erster Vorschlag im Frühjahr vorliegen soll. Es werden nicht nur die Justiz, sondern auch die Meinungsfreiheit und die Korruptionsbekämpfung geprüft. Die Europäische Kommission erwartet jedoch Widerstand aus anderen Ländern, eine lange Debatte darüber, wie bestimmte Aspekte der Rechtsstaatlichkeit zu prüfen sind und vor allem, wer sich damit befassen wird. Obwohl der neue Mechanismus noch in den Kinderschuhen steckt, wird er sicherlich eine neue Front im Kampf für die Rechtsstaatlichkeit eröffnen.

Zsfg.: MB

https://prawo.gazetaprawna.pl/artykuly/1451008,jourova-polska-praworzadnosc-spor-o-sady.html?fbclid=IwAR1mDV9YbA_QbPqRGZ0vJ2iyo6j2IaMWqMZ4w1kSGitRu4SUg9Kc9EthQ68

rp.pl

Das Verfassungsgericht blockiert das Oberste Gericht in Bezug auf neue Richter.


Das Verfassungsgericht wird die Vollstreckung des Beschlusses der letzten Woche von drei alten Kammern des Obersten Gerichts aussetzen, der das Recht neuer Richter auf Erlassung von Urteilen in Frage stellt.
Die Entscheidung des gesamten Verfassungsgerichts wurde mit Stimmenmehrheit getroffen.
Das Tribunal hat beschlossen, die Anwendung des Beschlusses der Kammern für Zivil-, Straf-, Arbeits- und Sozialversicherung des Obersten Gerichts vom 23. Januar 2020 ab dem Datum seiner Erteilung auszusetzen. Dies bedeutet insbesondere – dem Verfassungsgericht anzuzeigen – dass die Anwendung von Art. 439 § 1 Punkt 2 des Gesetzes vom 6. Juni 1997 Strafprozessordnung und Art. 379 Punkt 4 der Zivilprozessordnung im Sinne des Beschlusses unzulässig ist.
Die Auslegung dieser Vorschriften in der o. g. Entschließung ermöglicht einer Partei des Prozesses, die mit dem unter Beteiligung eines neuen Richters ergangenen Urteil unzufrieden ist, das Urteil als in einer fehlerhaften Zusammensetzung ergangen anzufechten. Vorausgesetzt, es wurde nachgewiesen, dass der Richter nicht unabhängig war. Gegenüber den Richtern des Obersten Gerichts ist der Beschluss jedoch strenger, da diese zusätzliche Bedingung nicht besteht. Darüber hinaus würden die Urteile des Disziplinarausschusses nachträglich überprüft.
Zweitens stellte das Verfassungsgericht fest, dass die Entscheidungsbefugnis eines Richters, der vom Präsidenten auf Ersuchen des neuen nationalen Richterrates zum Amt ernannt wurde, nicht eingeschränkt werden darf, und Entscheidungen von Gerichten in denen neue Richter saßen, bindend sind.
Das Verfassungsgericht hat auch beschlossen, die Ausübung der Zuständigkeit des Obersten Gerichts für Beschlussfassungen (in der Vergangenheit) auszusetzen, wenn es um die folgenden Angelegenheiten geht: Prüfung der Übereinstimmung mit dem nationalen Recht, dem Völkerrecht und der Rechtsprechung der internationalen Gerichte und um das Verfahren zur Vorlage der Kandidaten für das Richteramt beim Präsidenten der Republik Polen und die Ausübung des Rechts des Präsidenten zur Ernennung von Richtern

Das Tribunal berät bis zum späten Abend in geschlossener Sitzung und die Grundlage für seine Entscheidung ist Art. 86 des Gesetzes über die Organisation und das Verfahren vor dem Verfassungsgericht zur Beilegung eines Kompetenzstreits. Ein Antrag zur Beilegung eines solchen Streits wurde vor einer Woche von Sejm-Sprecherin Elzbieta Witek eingereicht. Der bereits erwähnte Artikel 86 ermöglicht dem Verfassungsgericht, Streitigkeiten vorübergehend beizulegen.
Wie in der Verfügung des Verfassungsgerichts angegeben, soll diese Bestimmung vorübergehend Streitigkeiten beilegen, bis der Kompetenzstreit beigelegt ist.
Das Verfassungsgericht wird sich am 25. Februar mit dem Antrag von Witek befassen. Erkenne die Sache in voller Besetzung an. Vorsitzende ist Julia Przylebska, Berichterstatterin ist Krystyna Pawlowicz.
Das Oberste Gericht sieht keinen Streit über die Zuständigkeit, was in der Begründung des Beschlusses der letzten Woche darauf hindeutet, dass es weder die Zuständigkeit des Präsidenten betrifft, Richter zu ernennen, noch den Sejm, Gesetze zu verabschieden.

Zsfg.: MB

https://www.rp.pl/Sedziowie-i-sady/301299959-Trybunal-Konstytucyjny-blokuje-Sad-Najwyzszy-ws-nowych-sedziow.html

oko.press
Minister Ziobro belog die Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission. OKO.press deckt die Manipulation auf.


Der Besuch von Věra Jourová war überhaupt nicht nach dem Geschmack der Partei von Jarosław Kaczyński. Justizminister Zbigniew Ziobro versuchte, die Situation zu retten, aber in seiner Verzweiflung setzte er auf Manipulation. Schon allein deshalb wird die Europäische Kommission den Angriff der PiS-Regierung auf die Rechtsstaatlichkeit nicht durchgehen lassen.
Bei einem Treffen mit der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Věra Jourová sollte Minister Ziobro am 28. Januar 2020 „die Opposition umpflügen“. Das schrieb sein Stellvertreter Michał Wójcik auf seinem Twitter-Profil. In einem Kommuniqué des Justizministeriums heißt es, dass Ziobro Jourová „zwei vielsagende Materialien“ zeigte – Beweise für die Heuchelei der Bürgerplattform. Dazu gehören die Erklärung von Prof. Andrzej Rzepliński aus dem Jahr 2004 und ein Dokument von vor 13 Jahren, in dem die PO vorschlagen haben soll, dass die Mitglieder des Nationalen Justizrates vom Sejm gewählt werden sollten. „Was sagt die Europäische Kommission dazu?“ – fragte Wójcik auf Twitter.
Das Problem ist, dass das Dokument „Der tiefe Umbau des Staates“, welches diesen Vorschlag enthielt, 2007 von einem Team unter der Leitung des PO-Abgeordneten Jan Maria Rokita erstellt wurde. Rokita kündigte dies urplötzlich an, ohne die anderen Mitglieder des Teams zu konsultieren, tat dies dagegen mit u.a. Jaroslaw Gowin, der jetzt in der Regierung der Vereinigten Rechten sitzt. Die Veränderungen beim Landesjustizrat – fügen wir hinzu, dass sie auf einer anderen Idee als der PiS-Revolution basieren – wurden abgelehnt. Sie schafften es nie in das Programm der PO, und Rokita selbst verließ die Partei bald darauf.
Bei dem Treffen am 28. Januar sollte der Justizminister Jourová „als Geste des guten Willens“ einen „Kompromiss“ zur Lösung der Probleme mit der polnischen Rechtsstaatlichkeit vorschlagen. Was für ein Kompromiss? Ziobro erklärte auf der Pressekonferenz nach dem Treffen, dass es „darum geht, im europäischen System sehr gut bekannte Lösungen zu übertragen, weil sie im größten europäischen Land, nämlich Deutschland, funktionieren“. Der Generalstaatsanwalt erinnerte an die bekannte PiS-Erzählung. Wieder hörten wir, dass in Deutschland „Richter nur von Politikern, nur von Vertretern des Bundestages und der Justizminister der Länder gewählt werden“. Wir haben in OKO.press schon oft darüber geschrieben, warum das deutsche Modell ein schlechtes Vorbild für die Ausbesserung des Justizsystems in Polen ist. Wir betonten, dass es sich sehr von den „Reformen“ der PiS unterscheidet: lange Tradition, Präsenz der Opposition im Rekrutierungskomitee, Meinung der Richter und gute Gepflogenheiten. In Deutschland ist es undenkbar, einen Kandidaten für ein Gericht ohne Erfahrung und Kompetenz auszuwählen. Ziobro wendet erneut eine interessante Logik an – zum einen gibt er zu, dass das deutsche Modell den Politikern eine große Kontrolle über die Justiz gibt. Andererseits schlägt er vor, die gleichen Änderungen auch in Polen einzuführen.
In den letzten Wochen haben die Venedig-Kommission und die Europäische Parlamentarische Versammlung unter anderem an die polnische Regierung appelliert, das alte Modell der Wahl der Mitglieder des Landesjustizrats wiederherzustellen. Die PiS hat jedoch nicht die Absicht, dem Landesjustizrat abzugeben, da dieser die Kontrolle über Ernennungen und Beförderungen von Richtern garantiert. Und damit über die polnische Justiz im Allgemeinen. Auch aus diesem Grund verbirgt sie die Unterstützerschreiben für die Ratsmitglieder gewissenhaft.
Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission hat offenbar den guten Willen von Minister Ziobro nicht zu schätzen gewusst. „Das Treffen hatte nicht den Charakter einer Verhandlung, sondern war eher ein Meinungsaustausch […]. Ich habe es nicht so verstanden, dass irgendetwas ein konkreter Kompromiss ist. Wir sprachen über Unterschiede, sie sind klar, hauptsächlich in Bezug auf die rechtlichen Verfahren. Wir sprachen auch über den politischen Einfluss, wie dieser sich in Veränderungen auf den verschiedenen Ebenen der Justiz niederschlägt“, sagte Jourová nach dem Treffen. „Ich habe den Minister gebeten, […] eine gemeinsame technische Plattform zu schaffen, auf der wir die nächsten Schritte besprechen können, die wir unternehmen werden […]. Wir waren uns einig, dass es keine weiteren Überraschungen geben sollte. Wir sollten uns dessen bewusst sein, was wir planen. Wir sollten den Dialog aufrichtig und offen halten“, fügte sie hinzu.
Gleichzeitig betonte sie, dass sich die Europäische Kommission nicht von den Plänen zurückzieht, die EU-Mittel mit der Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen.

Zsfg.: AV

https://oko.press/minister-ziobro-oklamal-wiceprzewodniczaca-ke-jego-dwa-wymowne-materialy-to-manipulacja/?fbclid=IwAR3aRdT0rlSKLbkJ8u83TrQexNVY3yPVNSxw2EoKjVwcNKQmc2dW7485_vI

oko.press

Prof. Matczak: Seit fünf Jahren steuern wir auf eine Katastrophe zu. Zeit für eine Rückkehr.

Die ersten Wochen des Jahres 2020 brachten eine weitere spektakuläre und aufregende Wende im Kampf um die Rechtsstaatlichkeit in Polen. Wir werden sie durch die Arbeit im Parlament über das so genannte Disziplinarrecht, den Marsch der tausend Roben, die Kampagne gegen die Richter als Element der Wahlkampagne von Andrzej Duda sowie die Entschließung von Kammern des Obersten Gerichtshofs vom 23. Januar in Erinnerung behalten. Der Oberste Gerichtshof entschied darin, dass die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs mit den vom derzeitigen KRS (Landesjustizrat) empfohlenen Richtern immer falsch besetzt ist, und wies auch darauf hin, dass die Zusammensetzung der ordentlichen Gerichte und der Militärgerichte, an denen die Richter auf Empfehlung des derzeitigen KRS tagen, auf die Richtigkeit der Besetzung hin überprüft werden sollte.
Die Regierung reagierte drastisch auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofs. Premierminister Mateusz Morawiecki stellte bei Julia Przyłębskas Verfassungsgericht einen Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen, auf deren Grundlage der Oberste Gerichtshof seine Beschlüsse gefasst hat. Der Justizminister und sein Ministerium erklärten die Resolution in einer offiziellen Erklärung für ungültig. Die Richter des Obersten Gerichtshofs werden vom „nationalen“ Fernsehen als ehren- und gewissenlos beurteilt.
(…)
Die Helsinki Foundation for Human Rights ruft die Regierenden auf, an diesem historischen Wendepunkt zumindest einige der Veränderungen, die den Gerichten ab 2015 aufgezwungen werden, rückgängig zu machen. Eine ähnliche Botschaft wird von Professor Marcin Matczak an die Regierenden gerichtet, der in klarer und eindringlicher Weise erklärt, in welchem Moment des politischen Systems wir uns befinden und welche historische Pflicht den derzeitigen Behörden in Polen obliegt. Nachfolgend veröffentlichen wir die Analyse, die im Blog des Professors erschien:
Prof. Matczak: Zeit für eine Rückkehr
Wie sieht die Landschaft der polnischen Rechtsstaatlichkeit nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus? Fassen wir die Fakten zusammen:

  1. die derzeitige polnische Regierung behauptet seit fünf Jahren, dass das demokratische Mandat, das sie in ordentlichen Wahlen erhalten habe, es ihr erlaubt, die polnische Justiz frei zu verändern;
  2. da selbst für sie klar ist, dass ein Sieg bei ordentlichen Wahlen nicht erlaubt, gegen die Verfassung zu verstoßen, beginnt die neue Regierung ihr Amt mit einem Staatsstreich – der Sejm annulliert die Wahl von drei rechtmäßig gewählten Richtern des Verfassungsgerichts, der Präsident hilft bei der Ernennung ihrer Double, die Premierministerin der polnischen Regierung weigert sich, die Urteile des Verfassungsgerichts zu veröffentlichen und sich ihnen zu unterwerfen; der Präsident verstößt erneut gegen die Verfassung, indem er eine Person an die Spitze des Verfassungsgerichtshofes als Präsident ernennt;
  3. diese Maßnahmen und die sich daraus ergebenden Schritte (z.B. die Absetzung des Vizepräsidenten des Verfassungsgerichts und dreier anderer Richter von der Urteilssprechung, die Manipulation der Zusammensetzung des Verfassungsgerichts) erlauben es, das Verfassungsgericht außer Gefecht zu setzen – es wird zu einem Instrument zur Demontage und Blockierung anderer Verfassungsinstitutionen (Landesjustizrat und Oberstes Gericht);
  4. danach verläuft alles glatt, denn die Verfassung ohne unabhängiges Verfassungsgericht ist wie ein Verkehrsgesetz ohne Polizei – alles ist erlaubt. Die Macht übernimmt der Landesjustizrat, der einen Angriff auf den Obersten Gerichtshof führt (nur teilweise erfolgreich, dank des Widerstands der Bürger) und diszipliniert die Richter, die sich nicht den auf brutale Weise durchgeführten illegalen Aktionen unterwerfen;
  5. unter dem Deckmantel der „Reform“ führen die Behörden einen drastischen Personalaustausch in den Gerichten durch, der nicht auf der individuellen Beurteilung der Richter beruht, sondern auf dem populistischen Vorwurf der kollektiven Verantwortung, ein „Kommunist“ zu sein. Dieser Vorwurf richtet sich an Richter, die 1989 im Durchschnitt noch im Teenager-Alter waren.
  6. als Ergebnis dieses Austauschs  im Landesjustizrat haben Personen, die genau im gleichen Alter sind wie die entfernten „Kommunisten“, gleichzeitig aber geringe sachliche und moralische Kompetenzen besitzen, Stellen in unterschiedlichen Gerichten erhalten, was sich unter anderem in einem schockierenden Hatespeech-Skandal widerspiegelt. Die Idee der Veränderung der Gerichte geschieht also unter der Parole „Veränderung, um der Veränderung willen – auch zum Schlechteren“.
  7. die Situation der „reformierten“ Gerichte verschlechtert sich drastisch – die Zahl der Fälle am Verfassungsgericht geht um 80% zurück, was ein Rückgang des Vertrauens in diese Institution widerspiegelt. Die Fälle vor Gericht dauern länger, nicht kürzer. Die überwiegende Mehrheit der polnischen Richter, die mit absurden Disziplinarmaßnahmen verfolgt werden, z.B. wegen des Tragens eines T-Shirts mit der Aufschrift „Verfassung“, fühlt sich in ihrer Unabhängigkeit bedroht;
  8. der Fall der polnischen Justiz erreicht die EU-Ebene – den EU-Institutionen ist klar, dass die Handlungen der polnischen Regierung gegen die gemeinsamen Werte der EU-Länder, einschließlich Polens, verstoßen. Das ist auch für polnische Rechtsabteilungen, Anwaltskammern in Polen und im Ausland, die Venedig-Kommission, die UNO und verschiedene andere nationale und internationale Institutionen klar;
  9. polnische Fälle kommen vor das höchste EU-Gericht – den EuGH. Der EuGH hat auch keinen Zweifel daran, dass das Vorgehen der polnischen Regierung gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verstößt. Im letzten Fall im November ermächtigt der EuGH den polnischen Obersten Gerichtshof, final zu beurteilen, ob die nach den Änderungen durch die PiS ernannten Richter gültige Urteile erlassen können;
  10. der polnische Oberste Gerichtshof erklärt zweimal, dass sie dies nicht können – am nachdrücklichsten in der Entschließung, die von mehreren Dutzend Richtern verabschiedet wurde. Dies bedeutet eindeutig, dass die durch die PiS eingeführten Änderungen fehlerhaft waren und zurückgezogen werden müssen;
  11. polnische Behörden greifen den EuGH und den Obersten Gerichtshof an, Politiker schreiben sich erneut das Recht zu, zu beurteilen, ob Gerichtsentscheidungen bindend sind. Der Premierminister richtet einen unbegründeten Antrag an das entmündigte Verfassungsgericht, das die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für ungültig erklären soll. Auf diese Weise untergräbt er nicht nur die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, sondern auch die Entscheidung des EuGHs;
  12. das Verfassungsgericht, an das Personen berufen wurden, die die Europäische Union hassen, darunter Krystyna Pawłowicz, die die Union als „Lumpen“ bezeichnet, wird den Premierminister wahrscheinlich unterstützen. Wir werden also einen Krieg der polnischen Verfassung, interpretiert von Frau Pawłowicz, gegen das Recht der Union führen. Der Krieg zwischen Polen und der Organisation, der wir aufgrund der Entscheidung des Souveräns beigetreten sind und niemand hat die Zustimmung zu einem solchen Krieg gegeben.

Im Namen welcher Werte wird all dies getan? Was sind die Vorteile der Maßnahmen der polnischen Behörden für die Bürger? In den Gerichten herrscht Chaos, die Beziehungen Polens zur EU sind in der schlimmsten Verfassung seit unserem Beitritt, es besteht die ernste Gefahr, dass uns durch die gerichtliche Säuberung EU-Gelder entzogen werden. Und was haben wir im Gegenzug? Das Gefühl, dass wir die Gerichte entkommunisiert haben? Mit Staatsanwalt Piotrowicz im Verfassungsgericht? Ein Gefühl, dass wir die Gerichte entpolitisiert haben? Mit Frau Pawłowicz im Verfassungsgericht? Ein Gefühl, dass die polnischen Richter moralisch besser und kultivierter sind? Mit der Aggressivität von Herrn Nawacki und Herrn Radzik, die vom Fernsehbildschirm auf uns einströmt? Ein Gefühl der Souveränität? Ja, wenn wir Souveränität als das Recht auf Selbstzerstörung verstehen.
Es ist an der Zeit zu erkennen, dass wir seit fünf Jahren auf eine Katastrophe zusteuern. Es ist an der Zeit zu verstehen, dass wir zurückkehren müssen. Wir müssen einen neuen Justizrat einsetzen, wir müssen die Frage der von ihm ernannten Richter klären, wir müssen diesen Augiasstall ausmisten. Anstatt gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs und die Entscheidung des EuGHs zu bekämpfen, sollten die polnischen Behörden sie nutzen, um das Verdorbene zu reparieren. Politische Macht kann wirklich auf eine andere Art und Weise gezeigt werden, als wenn man herausbrüllt, dass man auf die Entscheidung von 60 Richtern des Obersten Gerichtshofs pfeift. Eine Entscheidung, zurückzukehren, zeigt wahre Weisheit, die von den Bürgern mehr respektiert wird als Geschrei.

Zsfg.: AV

https://oko.press/prof-matczak-od-pieciu-lat-zmierzamy-do-katastrofy-czas-sie-cofnac/

 ZITAT DER WOCHE

„Seid nicht gleichgültig, wenn ihr historische Lügen seht. Seid nicht gleichgültig, wenn ihr seht, dass die Vergangenheit den aktuellen politischen Erfordernissen angepasst wird. Seid nicht gleichgültig, wenn eine Minderheit diskriminiert wird. Das Wesen der Demokratie ist die Regel, dass die Mehrheit regiert, aber Demokratie bedeutet, dass die Rechte von Minderheiten geschützt werden müssen. Seid nicht gleichgültig, wenn irgendeine Behörde gegen bereits bestehende soziale Vereinbarungen verstößt. Sei dem Gebot treu. Dem elften Gebot: Sei nicht gleichgültig!“

 

Marian Turski – ein polnischer Journalist jüdischer Abstammung und Vorsitzender des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Ein Überlebender von Auschwitz.

 

Quelle: https://oko.press/marian-turski-jesli-bedziecie-obojetni-jakies-auschwitz-spadnie-wam-z-nieba/

MEDIENSPIEGEL – IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN PRESSE ÜBER POLEN

zeit.de

EU-Kommissionsvize wirft Polen Verleumdungskampagne gegen Richter vor
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-01/justizreform-polen-vera-jourova-eu-kommission-kritik-verleumdungskampagne


queer.de

Wirbel um Fotoprojekt gegen „LGBT-freie Zonen”
https://www.queer.de/bild-des-tages.php?einzel=2901&fbclid=IwAR1_v5GIFPDjH5UV3Zvd16PGkE7Q2Mg_DVIGjG3QJp7ndZY-6ony67jJTDo


zeit.de

Europarat stellt Polen unter besondere Beobachtung
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-01/polen-justizreform-europarat-besondere-beobachtung-monitoring


spiegel.de

Polnische Regierung feiert Condor-Übernahme als Triumph
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/condor-was-die-polnische-lot-mit-dem-deutschen-ferienflieger-vorhat-a-34ec465a-5ed6-4867-b8bf-b356abcf6be1


derstandard.de

Polnisches Parlament billigt Gesetz zur Bestrafung kritischer Richter
https://www.derstandard.de/story/2000113678726/polnisches-parlament-billigt-gesetz-zur-bestrafung-kritischer-richter

 

DEKODER auf Deutsch
https://dekoder.com.pl/deutsch-artikel/

DIALOG FORUM – Perspektiven aus der Mitte Europas
https://forumdialog.eu/

POLEN und wir – älteste Zeitschrift für deutsch-polnische Verständigung
http://www.polen-und-wir.de/
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Małgorzata Burek | Jerzy Paetzold
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