„Die große Retusche: Wie wir vergaßen, dass Polen Juden töteten”
– Gespräch mit Tomasz Żukowski
Gäste: Tomasz Żukowski
Organisation: Mitte 21 e.V., buch|bund, U.Ptak
Moderation: Urszula Ptak
Datum: 27.09.2019 Ort: buch|bund, Sanderstrasse 8, 12047 Berlin
Wir begannen unser Projekt „POLiTISCH.kulturReihe“ mit dem Gespräch und der Diskussion zum Buch „Die große Retusche: Wie wir vergaßen, dass Polen Juden töteten.“ (Wielka Litera Verlag, Warschau 2018) von Tomasz Żukowski, der persönlich teilnahm und sich den Fragen stellte.
Das Treffen fand in der polnisch-deutschen berliner Buchhandlung „buch|Bund“ statt, einem unserer Partner und in einem Treffpunkt vieler kulturinteressierten Polen und an Polen interessierten Deutschen und anderen Berlinern.
Tomasz Żukowski ist Literaturhistoriker, arbeitet im Institut für Literaturforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften PAN in Warschau. Verfasser von vielen Publikationen zum Bild des Juden und dessen Rolle beim Definieren der polnischen Identität.
Sein Buch ist eine tiefe und mehrstufige Studie über die Einstellung der Polen zum Holocaust. Dazu wählte er als Zugang einen nicht unbedingt geschichtswissenschaftlichen, sondern populär-kulturellen Ansatz – nämlich Film und Literatur. Anhand von bekannten Filmen und Büchern aus Polen der Nachkriegszeit, darunter meist fast allen Polen bekannten „Blockbustern“ und Klassikern, zeigt Tomasz Żukowski auf, wie Mythen entstehen, wie sich der Diskurs, das Interesse, aber auch die selbstkritische Betrachtungsweise mit Jahren und Jahrzehnten änderte.
Während in Erzählungen, Romanen und Filmen direkt in der Nachkriegszeit die nicht immer „ruhmreiche“ Rolle der polnischen Bevölkerung, der Gesellschaft und der Politik (etwa des Untergrunds oder der Exilregierung) zu ihren jüdischen Mitbürgern in der Kriegszeit wie auch davor durchaus ehrlich und kritisch dargestellt oder zumindest erwähnt wurden, wurde die Darstellung der Juden und der Polen im Laufe der Zeit „retuschiert“. Das Bild der Polen wandelte sich immer mehr zum reinen Helfer und Mit-Opfer und der Antisemitismus wurde mehr oder weniger komplett ausgeblendet („ausradiert“).
Im offiziellen Diskurs wurde das Bild der Juden – eigentlich die Juden als solche selbst – ausradiert, bzw. durch „Polen“ ersetzt – da die Opfer des Holocaust größtenteils polnische Staatsbürger waren, wurden sie immer zunehmend alle „in Polen verwandelt“. Diese Verschiebung war nicht nur für das kommunistische Regime von Vorteil, sondern auch eine angenehme Version für die meisten Gesellschaftsgruppen: Polen wurden noch stärker als Opfer der NS-Zeit dargestellt, während ihre Mitschuld – aktiv oder passiv – an der Judenverfolgung aus dem Bild verschwand.
Die Rolle der Mittel – populäre Kinofilme wie Romane (oft auch Schullektüre) war nicht zufällig. Diese sind eine „seichtere“ Kost als offizielle Staatspropaganda und erreichten viel breiteres Publikum als selbst geschichtsfälschende und/oder manipulierende Studien.
Die Folgen dieser „Kulturpropaganda“ – die vielen als unschuldige Unterhaltung oder intellektuelle Freizeitbeschäftigung erschien, in Wirklichkeit stark unser Denken und Identität beeinflusst hatten – spüren wir bis heute. Und gerade in Zeiten des neu aufflammenden Nationalismus und „stolz-patriotischen“ Narratives in Polen seit den 2000er Jahren beeinflussen diese filmischen und literarischen Klischees die retuschierte Sichtweise auf unsere polnisch-jüdische Geschichte, Identitäten und Probleme bis heute. Daher reagieren viele Polen oft entsetzt, wenn sie mit ihrer Geschichte in kritischer Weise konfrontiert werden – und daher ist es für viele Deutsche nicht nachvollziehbar, woher in Polen die Abwehrmechanismen so stark sind, die wieder an Antisemitismus grenzen oder den sogar wiederbeleben.
Im Gespräch – das von Urszula Ptak moderiert wurde – kamen wir auch auf deutsche und universelle Probleme mit den „Geschichtsretuschen“ zu sprechen – auch, aber nicht nur im Hinblick auf den Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg und die Shoah. Das Universelle sei leider, dass solche „Kniffe“ immer und überall stattfinden können – vielleicht mit anderen Mitteln, im anderen Ausmaß, und in anderen Zeiten – doch sie bleiben gefährlich, vor allem in ihren Folgen. Sei es die britische oder französische „Geschichtsretusche“ der Kolonialzeiten, die amerikanische Verklärung der „Pionierzeit“ und die „Eroberung des Westens“, oder die schwankende Erzählgeschichte der Deutschen über ihre Vergangenheit und ihre Bewertung – sei es die Rolle der Wehrmacht, die tatsächliche oder nur oberflächliche „Entnazifizierung“ oder die heutigen Versuche, den Holocaust oder die Rolle Deutschlands im 2. Weltkrieg seitens der AfD kleinzureden – welche Aussagen eigentlich nur die sichtbare Spitze des Eisbergs darstellen.
Dennoch war unser Gast – auch nach vielen Fragen aus dem Publikum, die teils auf Polnisch, teils auf Deutsch kamen – vorsichtig optimistisch. Als Historiker bleibt er kritisch, dennoch vorsichtig-idealistisch: Es sei weiterhin wichtig und sinnvoll, sich kritisch mit der Geschichte zu befassen, nicht nur rein aus wissenschaftlichem Interesse, sondern weil er glaubt, dass die Erkenntnisse für unsere Gegenwart, aber vor allem für die Zukunft von Nutzen sind – trotz aller sichtbaren Rückschläge. Denn gerade die Erfolge dieser „Lehren aus der Vergangenheit“, angewendet auf unser Leben und Denken, sind oft weniger sichtbar – und daher aber nicht weniger bedeutsam.
Impressionen von unserem Treffen mit Tomasz Żukowski (Fot.: Monika Saczyńska):